Universität will Urtext des Neuen Testament rekonstruieren

Holger Strutwolf

Die Universität Münster hat eine neue Methode zur Wiedergewinnung der ursprünglichen Textform des griechischen Neuen Testaments entwickelt.

Eine neue computergestützte Methode zur Wiedergewinnung der Textform, von der in der Mitte des 2. Jahrhunderts die handschriftliche Überlieferung des griechischen Neuen Testaments ihren Ausgang nahm, haben Forscher der Westfälischen Wilhelms-Universität bei einem internationalen Kolloquium Anfang August in Münster vorgestellt. Die am Institut für Neutestamentliche Textforschung der WWU entwickelte "Kohärenzmethode" stiess bei den aus aller Welt angereisten führenden Bibelforschern, aber auch bei der Deutschen Bibelgesellschaft auf grosses Interesse und breite Akzeptanz.

5700 bekannte Handschriften

Wie der Direktor des Instituts für Neutestamentliche Textforschung und Leiter des Bibelmuseums der Universität Münster, Prof. Dr. Holger Strutwolf, bei einem Pressegespräch erläuterte, ist der Ausgangstext des griechischen Neuen Testaments selbst in keiner Handschrift vollständig erhalten, er müsse deshalb aus der gesamten Überlieferung von zur Zeit 5700 bekannten Handschriften rekonstruiert werden. Das Hauptproblem sei dabei, so Prof. Strutwolf, die "Kontamination", die gegenseitige Beeinflussung und Vermengung unterschiedlicher Überlieferungen, zu der es im Zuge der handschriftlichen Reproduktion des Textes immer wieder gekommen sei.

Schwer zu entwirren

Schreiber kopierten zwar im Wesentlichen zuverlässig ihre Vorlage, gelegentlich wurden sie aber etwa durch Unleserlichkeiten oder durch alternative Lesarten zwischen den Zeilen oder am Rande veranlasst, eine andere Handschrift zu Rate zu ziehen und von der Hauptvorlage abzuweichen. "Im Laufe der Jahrhunderte entstand so ein schwer zu entwirrendes Gemenge von Textformen und Überlieferungssträngen", erklärt Prof. Strutwolf und verweist zur Lösung des alten Problems auf die von Gerd Mink an seinem Institut entwickelte neue "Kohärenzmethode", die erstmals auf der Basis des gesamten relevanten Materials die Textvarianten im Neuen Testament mit Hilfe von leistungsfähiger EDV überprüfe und Vorschläge entwickle. Der Zusammenhang der Überlieferung werde sichtbar und könne in die Beurteilung der Varianten einbezogen werden.

Überraschende Textänderungen

Dr. Jan Bühner, Generalsekretär der Deutschen Bibelgesellschaft, rechnet nicht mit Sensationen am Ende der auf mehr als zwanzig Jahre veranschlagten Forschungsarbeit an der geplanten grossen kritischen Gesamtausgabe des griechischen Neuen Testaments, die im Jahr 2030 vorliegen soll. Sehr wohl könne es aber zu zahlreichen wichtigen und überraschenden Textänderungen am Neuen Testament kommen. Erfreut sei er über die in Münster deutlich gewordene grosse Übereinstimmung und Kooperationsbereitschaft der internationalen Forscher. So werden die beiden internationalen Zentren der neutestamentlichen Textforschung an den Universitäten Münster und Birmingham/Grossbritannien künftig noch enger zusammen arbeiten.

Datum: 08.08.2008

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