Im Kino

Oppenheimer, der Zerstörer der Welten

Cillian Murphy hält als J. Robert Oppenheimer eine Rede
Robert Oppenheimer hat die gefährlichste Waffe der Welt erfunden. Die Apokalypse heraufbeschworen. Gibt es dafür eine Rechtfertigung? Wie lebt man damit? Fragen, auf die die Filmbiografie von Starregisseur Christopher Nolan Antworten sucht.

Christopher Nolans Film «Oppenheimer» beginnt mit der Apokalypse. Und sie ist irgendwie so seltsam schön. Feuerwalzen rollen über die Leinwand, Funken sprühen, unvorstellbare Hitze, eine rot glühende Wolke. So könnte auch die Erschaffung der Welt ausgesehen haben, denkt man kurz. Um dann durch einen Satz aus der griechischen Mythologie daran erinnert zu werden, worum es hier geht: «Prometheus stahl das Feuer der Götter und gab es den Menschen.»

Der Prometheus in diesem Film und auch im echten Leben ist Robert Oppenheimer, der Vater der Atombombe. Jener amerikanische Quantenphysiker, der die Forschungsarbeiten an einer der zerstörerischsten Waffen der Welt anleitete. Der Waffe, die in Nagasaki und Hiroshima 200'000 Opfer forderte. Zwei Drittel starben an den direkten Folgen des Einschlags. Sie verbrannten, wurden zerfetzt, von Trümmern erschlagen. Ein Drittel siechte an der Verstrahlung dahin. Tage, Wochen voll von Erbrechen, Haarausfall, Haut- und Nägelablösen, Organversagen.

«Ich bin der Zerstörer der Welten», sagt Oppenheimer, gespielt von Cillian Murphy, später im Film. Ein Satz aus dem echten Leben, ausgesprochen 1965 in einem Interview.

Warum die Welt in Brand setzen?

Producer Christopher Nolan und Hauptdarsteller Cillian Murphy am Set

Warum wird jemand freiwillig dieser Zerstörer? Warum sagte Oppenheimer ja zu diesem Projekt? Eine Szene, in der der renommierte Quantenphysiker einen seiner Kollegen überzeugt, mitzumachen, gibt Aufschluss: «Die Bombe fällt am Ende auf die Gerechten und die Ungerechten zugleich», sagt dieser und rechtfertigt so seine Zurückhaltung mit einem Bibelzitat aus dem Matthäusevangelium. Oppenheimer antwortet: «Wir haben keine Wahl.»

Keine Wahl, das sagt ein amerikanischer Jude, der seit Jahren mitansieht, wie in Europa Millionen in Konzentrationslagern eingesperrt und getötet werden. Einer, der in den Zwanziger Jahren sogar kurzfristig in Göttingen an der Universität tätig war. Und der damals schon spürte, wie die Gesellschaft ihn ablehnte.

Wir haben keine Wahl, das ist, kombiniert mit einem ausserordentlichen Darstellungsbedürfnis, das Anfangsmotiv Oppenheimers. «Eine Bombe, die jeden Krieg undenkbar macht», nennt er seine Erfindung an anderer Stelle im Film. Und benennt damit ein aus heutiger Sicht naives Dogma, das die Atombombe seinerzeit rechtfertige: Wenn einer in der Welt eine Waffe besitzt, die die ganze Erde zerstören kann, dann wird niemand mehr gegen ihn kämpfen wollen. Dann wird jeder Krieg überflüssig. 

Eine Kalkulation freilich, die den Grössenwahn aus der Gleichung lässt. Aufgestellt von Menschen, die noch nichts wussten von 42 Jahren Kalter Krieg, Atomschutzübungen an Schulen, fortdauernder Angst Hüben und Drüben und dem heutigen Säbelrasseln aus Russland. Eine Gleichung auch, die die Frage ignoriert, die eigentlich schon jeder James-Bond-Film aufwirft: Was geschieht, wenn die Waffe dem Falschen in die Hände fällt?

«Gibt es eine Chance, dass wir die Welt zerstören, wenn wir diesen Knopf drücken?»

Kaum zu glauben, dass ein Intellektueller wie Robert Oppenheimer sich diese Gedanken nicht machte. In der Tat sieht man ihn im Film, noch bevor seine Bombe zum ersten Mal getestet wird, mit den Wissenschaftskollegen diskutieren, wie es danach weitergehen soll. Schon da setzt er sich für das ein, was er nach dem tatsächlichen Einsatz in Japan immer wieder betont hat: Es braucht ein internationales Abkommen, auch mit dem Erzfeind Russland. Der Vorschlag brachte ihm den Vorwurf ein, russische Interessen bedienen zu wollen.

Trotz der Bedenken baute Oppenheimer also die Bombe. Alle Risiken in Kauf nehmend, denn was eine Atombombe wirklich anrichten kann, war den Physikern zunächst nur theoretisch klar. Ein Dialog mit dem verantwortlichen General, gespielt von Matt Damon, kurz vor dem ersten Testlauf, macht das deutlich: «Gibt es eine Chance, dass wir die Welt zerstören, wenn wir diesen Knopf drücken?», fragt er Oppenheimer. Der antwortet: «Die Chancen gehen gegen Null.» Um dann auszuführen, dass es tatsächlich die Theorie gebe, dass die ausgelöste Kettenreaktion der Bombe niemals enden könne und die Atmosphäre in Brand gesetzt werde. 

Die Verantwortlichen drücken den Knopf. Und applaudieren lautstark, als die Bombe mit viel Wums explodiert. Versuch geglückt. Aber was ist schon Glück. 

Vergebung für den Vater der Atombombe

Cillian Murphy (als J. Robert Oppenheimer) und Emily Blunt (als seine Frau)

Das muss sich Oppenheimer fragen, als er nach dem Abwurf in Hiroshima eine Rede halten soll. Aus seinem Mund kommt Patriotismus, doch was er in surrealen Filmszenen sieht, ist ein brennendes und zu Staub zerfallendes Publikum. So richtig trifft ihn die Wucht des eigenen Gewissens erst, nachdem seine Erfindung in der Welt ist. «Wir sind Theoretiker», lässt ihn Regisseur Nolan immer wieder rechtfertigend sagen. Doch die Auswirkungen der Bombe sind praktischer als alles, was Oppenheimer sich hätte vorstellen können. Das aber realisiert er zu spät. 

Gibt es Vergebung für einen wie ihn? Für den Zerstörer der Welten, der ein Feuer entfacht hat, das bis heute nicht gelöscht ist? Christopher Nolan mag diese Frage nicht beantworten. Er zeigt den Wissenschaftler zuletzt ergraut und rehabilitiert, von der amerikanischen Gesellschaft als Held geehrt. Er lächelt, schüttelt Hände, scheint versöhnt. Und doch sind da diese trauernden Augen, ein Blick, wie ihn in Hollywood vielleicht nur Cillian Murphy auflegen kann. Einer, der zeugt von Schuld und Nachdenklichkeit und der Idee, dass es nicht anders ging. Dass einer die Schuld auf sich laden musste. 

Christopher Nolans Film ist da grandios, wo er die inneren Kämpfe Oppenheimers zum Thema macht. Wo das Hämmern in seinem Kopf nicht nur für Oppenheimer, sondern auch für den Zuschauer im wahrsten Sinne und durch die Lautsprecher im Kino unerträglich wird. Und wo sich jeder vor der Leinwand diese eine wichtige Frage stellt: Was hätte ich getan?

Dieser Artikel erschien zuerst bei PRO-Medienmagazin.

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Datum: 05.08.2023
Autor: Anna Lutz
Quelle: PRO-Medienmagazin

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